Junges Landestheater Bayern

Zeig mir deine Wunde

neu überarbeitete Versionen 3 und 4 ab Herbst 2020 und 2021

Die meisten Menschen, die seit 2015 Zuflucht in unserem Land suchen, haben furchtbare Dinge erlebt. An die traumatisierenden Gewalt-Erlebnisse durch
Mitmenschen in ihrem Herkunftsland reihen sich oftmals weitere schlimme Erfahrungen auf den Fluchtwegen. Bei uns angekommen leben viele Geflüchtete über einen sehr langen Zeitraum mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus - ein verletzter Mensch, der eigentlich Schutz und Ruhe braucht ist hier immensen Belastungen ausgesetzt.

In Schulen, Verwaltungen und Arztpraxen stellt uns das vor besondere Herausforderungen - und hat gemeinsam mit weiteren globalen Krisen eine tiefe Beschäftigung mit dem Entstehen von individuellen und kollektiven Traumata ausgelöst.

Marty (B.Mangelsdorf) und Hassan Adschuli (A.Gholam)

Wir alle erfahren im Laufe unseres Lebens Verletzungen. Die meisten davon verheilen ganz einfach wieder. Es gibt aber auch solche, die tiefere Spuren hinterlassen. Wenn ein Mensch in eine Situation kommt, der er machtlos und hilflos ausgeliefert ist, kann ein Trauma entstehen. Das kann durch Naturkatastrophen oder Unfälle geschehen - besonders folgenschwer sind jedoch die Wunden, die sich Menschen bewusst oder unbewusst gegenseitig zufügen - einzeln oder in Gruppen. Kriege, Terror, Übergriffe oder unterlassene Fürsorge können das Vertrauen in das Gute in uns und unsere Mitmenschen tief erschüttern. Ein nicht verdautes Trauma verursacht immer Spannungen, weil es uns an der Entfaltung unserer eigentlichen Möglichkeiten hindert - das können wir in uns selbst beobachten aber auch in unseren Gemeinschaften. Viele dieser Spannungen bleiben ungelöst und werden von Generation zu Generation weitergegeben.

 

Zeig mir deine Wunde 3 und 4

sind neu überarbeitete und erweiterte Versionen der ursprünglichen Inszenierung Zeig mir deine Wunde, die auch den neuesten Stand der enthaltenen dokumentarischen Anteile berücksichigt. 

Wir schauen auf die Komplexität der Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln - dem eines jungen ghanaischen Journalisten, einer Filmregisseurin und ihrem Medizin studierenden Sohn, dessen vorgesetzter Oberärztin in der psychiatrischen Klinik und eines erfahrenen Asyl-Entscheiders. Dabei vertiefen wir exemplarisch die Geschichte des Afghanen Hassan Adschuli.

Ist ihm Asyl zu gewähren? Welche Hilfe benötigt er aus medizinischer Sicht? Kann oder sollte man gar aus seinem Schicksal einen Film machen? Und wie gehen wir auf der menschlichen Ebene damit um?
Was ist mit unserer eigenen Verwundbarkeit? Wir alle erfahren im Laufe unseres Lebens Verletzungen. Führt uns das dazu, dass wir das Leiden um uns herum ausblenden wollen oder kann es uns mitfühlender und gütiger machen?

 

Entscheider Adam (F.Pauli) wird von Lawrence (H.Munira) über seine Arbeit befragt
Tochter (M.Machalitza) und Mutter (V.Schweinstetter) beginnen sich in ihrer Arbeit zu ergänzen
Oberarzt (T.Huber) hat sich seinen Beruf anders vorgestellt

"Diese Wunde, dieses Fragmentarische muss man anschauen und dann weitergehen, sich ergänzen lassen vom anderen. Das gemeinsame Vorgehen bringt die Menschheit erst in Gang." (J.Beuys)

 

Ensemble: Aziz Gholam (Hassan Adschuli); Haruna Zahidi Munira (Lawrence, ein Journalist und Dokumentarfilmer aus Ghana); Vera Schweinstetter (Paula, eine Filmregisseurin); Michelle Machalitza (Paulas Tochter, im fachpraktischen Jahr ihres Medizinstudiums)/ Ben Mangelsdorf (Paulas Sohn, im fachpraktischen Jahr seines Medizinstudiums); Timm Huber (Oberarzt)/ Ula Grzela (Oberärztin); Felix Pauli (Herr Adam, ein erfahrener Asyl-Entscheider); Matthias Fischer (Regie)

 

„Wollen wir zu größerem Mitgefühl zurückfinden, so kann uns das in Konflikt mit den innersten Werten unserer Kultur bringen. Unsere Kultur ist eine, die Beherrschung und Kontrolle wertschätzt, in der Selbstständigkeit, Kompetenz und Unabhängigkeit kultiviert werden. Aber im Schatten dieser Werte findet sich eine tiefverwurzelte Ablehnung unserer menschlichen Ganzheit. Als Individuen und als Kultur haben wir eine Art Verachtung für alles in uns und in anderen entwickelt, was Bedürfnisse hat und fähig ist, zu leiden. Dies ist keine freundliche Welt. Und während das Leben auf diese Weise kälter und irgendwie härter wird, strampeln wir uns ab, um für uns und unsere Lieben durch unser Wissen, unsere Fähigkeiten, unser Einkommen irgendeinen sicheren Ort zu schaffen. Wir schaffen Sicherheitszonen in unseren Wohnungen und Büros und selbst in unseren Autos. Diese Plätze trennen uns voneinander. Doch Plätze, die Menschen voneinander trennen, sind nie sicher genug. Vielleicht ist das Gutsein, die Güte, die wir jeweils ineinander finden, unsere einzige Zuflucht.“ (R.Remen)

Das Theaterstück enthält neben biografischem Material auch Inspirationen und Zitate aus folgenden Quellen: Rüdiger Sünner: Zeige deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Josheph Beuys (2015); SZ-Kolumne: Neue Heimat (2018); Marc Forster/Khaled Hosseini: The Kite Runner (2007); Sandra Budesheim/Sabine Zimmer: Auf dünnem Eis - Die Asylentscheider (2017), Hauke Wendler: 45 Min - Protokoll einer Abschiebung (2016); Rumi: Gedichte; Peter A.Levine: Sprache ohne Worte (2010); Bessel van der Kolk: Verkörperter Schrecken (2014); Alexandra Liedl: Psychotherapeutische Versorgung von geflüchteten Menschen (2018); Rachel N.Remen: Aus Liebe zum Leben (2000); Bernd Kastner: Die Humanität droht zu ersticken (SZ 2019); Resmaa Menakem: My grandmothers hands (2017); Philip Meissner: Entscheiden ist einfach (2019); Thomas Hübl: Healing Collective Trauma (2020); Hanna Winterfeld: Die Erforschung der Schwindelei (SZ 2021)