Junges Landestheater Bayern

Zeig mir deine Wunde

ein Stück über das Universale im Menschsein, das durch unsere Verletzungen und Ängste immer durchscheint, trotz aller Unterschiede, und die Suche nach Würde und einer gemeinsamen Genesung

 

Die meisten Menschen, die seit 2015 Zuflucht in unserem Land suchen, haben furchtbare Dinge erlebt. An die traumatisierenden Gewalt-Erlebnisse durch
Mitmenschen in ihrem Herkunftsland reihen sich oftmals weitere schlimme Erfahrungen auf den Fluchtwegen. Bei uns angekommen leben viele Geflüchtete über einen sehr langen Zeitraum mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus - ein verletzter Mensch, der eigentlich Schutz und Ruhe braucht ist hier immensen Belastungen ausgesetzt. In Schulen, Verwaltungen und Arztpraxen stellt uns das aktuell vor besondere Herausforderungen.

Paul (S.Eigenbrod) und Hassan (H.Adschuli)
Hassan (H.Adschuli) hat Alpträume, Betty (V.Schweinstetter) liest sich in die Posttraumatische Belastungsstörung ein
Paul (S.Eigenbrod) und Lawrence (H.Munira) interwiewen Asyl-Entscheider Adam (F.Pauli)

In Zeig mir deine Wunde begegnen ein Filmstudent, eine angehende Ärztin, ein erfahrener Asyl-Entscheider und ein afrikanischer Stipendiat der Geschichte des Afghanen Hassan Adschuli und sehen sich aus ihrer jeweiligen privaten und beruflichen Perspektive vor der Frage, wie man mit dieser am besten umgeht. Ist Hassan Adschuli Asyl zu gewähren? Welche Hilfe benötigt er aus medizinischer Sicht? Ist das nicht alles Stoff für einen Film? Was ist mit  unserer eigenen Verwundbarkeit? Wir alle erfahren im Laufe unseres Lebens Verletzungen. Führt uns das dazu, dass wir das Leiden um uns herum ausblenden wollen oder kann es uns mitfühlender und gütiger machen?

Ensemble: Haruna Zahidi Munira (Lawrence, ein Dokumentarfilm-Student aus Ghana); Hassan Adschuli (ein junger Mann aus Afghanistan); Vera Schweinstetter (Betty, eine angehende Ärztin); Felix Pauli (Herr Adam, ein erfahrener Asyl-Entscheider); Sebastian Eigenbrod (Paul, ein Filmstudent vor dem Abschluss); Robert Straßer (Schreinerei); Matthias Fischer (Regie)

 

„Wollen wir zu größerem Mitgefühl zurückfinden, so kann uns das in Konflikt mit den innersten Werten unserer Kultur bringen. Unsere Kultur ist eine, die Beherrschung und Kontrolle wertschätzt, in der Selbstständigkeit, Kompetenz und Unabhängigkeit kultiviert werden. Aber im Schatten dieser Werte findet sich eine tiefverwurzelte Ablehnung unserer menschlichen Ganzheit. Als Individuen und als Kultur haben wir eine Art Verachtung für alles in uns und in anderen entwickelt, was Bedürfnisse hat und fähig ist, zu leiden. Dies ist keine freundliche Welt. Und während das Leben auf diese Weise kälter und irgendwie härter wird, strampeln wir uns ab, um für uns und unsere Lieben durch unser Wissen, unsere Fähigkeiten, unser Einkommen irgendeinen sicheren Ort zu schaffen. Wir schaffen Sicherheitszonen in unseren Wohnungen und Büros und selbst in unseren Autos. Diese Plätze trennen uns voneinander. Doch Plätze, die Menschen voneinander trennen, sind nie sicher genug. Vielleicht ist das Gutsein, die Güte, die wir jeweils ineinander finden, unsere einzige Zuflucht.“ (R.Remen)

Das Theaterstück enthält neben biografischem Material auch Inspirationen und Zitate aus folgenden Quellen: Jakob Arjouni: Besiegt (2003); SZ-Kolumne: Neue Heimat (2018); Marc Forster/Khaled Hosseini: The Kite Runner (2007); Sandra Budesheim/Sabine Zimmer: Auf dünnem Eis - Die Asylentscheider (2017), Hauke Wendler: 45 Min - Protokoll einer Abschiebung (2016); Rumi: Gedichte; Peter A.Levine: Sprache ohne Worte (2010); Bessel van der Kolk: Verkörperter Schrecken (2014); Alexandra Liedl: Psychotherapeutische Versorgung von geflüchteten Menschen (2018); Rachel N.Remen: Aus Liebe zum Leben (2000); Bernd Kastner: Die Humanität droht zu ersticken (SZ 2019)

 

 

Bei funktionierendem flash player hört man hier einen Ausschnitt aus der Vorstellung vom 27.02.2019
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Rezeptionen zu Zeig mir deine Wunde

Paul (S.Eigenbrod) möchte eine Film aus Hassans Geschichte machen

Der Zuschauer findet sich plötzlich inmitten von zwiespältigen Gefühlen, ist hin- und hergerissen von der Pflichterfüllung des Entscheiders mit dessen „Härte“, von der Empathie der jungen Ärztin und ihrem Zweifel, ob sie das richtige tut, der Sensationsgier des Filmstudenten und seinem Interesse auf eigene Karriere auf Kosten Hassans. Die Geschichte des jungen Geflüchteten, Hassan selbst, wird authentisch nach Protkollen, ärztlichen Stellungnahmen, einem Gespräch mit seinem Entscheider, erzählt. Es offenbart sich sein Weg, gesät mit traumatisierenden Erlebnissen.

Kulturelle Bildung mit dem Jungen Landestheater Bayern

Es lohnt sich, für wichtige Dinge einzustehen!

von Hildegard Scherl, StDin

 

Abschiebung – dieser Begriff ist in den Medien und bei den Menschen schnell gesagt. Gesetzliche Rahmenbedingungen, ein funktionierender technischer und personeller Apparat zur Durchführung, formelle Hindernisse bei Abschiebungen, darüber erfahren wir sehr viel, wenn es darum geht, zu uns geflüchtete Menschen wieder loszuwerden. Was aber erfahren wir jenseits der Fakten über Gefühle der betroffenen Menschen, ihre Beweggründe, deren emotionale Situationen? Wie aber sind auch die Menschen, welche in den Verfahren mitwirken, wie die Menschen, die als Angehörige der Mitwirkenden ungefragt die Geschehnisse miterleben, betroffen?

Das Junge Landestheater Bayern öffnete mit seinem Stück „Zeig mir deine Wunde“ 320 Schülern der Berufsfachschulen den Blick ins Innere betroffener Menschen. Erzählt wird die Geschichte des jungen Afghanen Hassan Adschuli. Er ist nun hier und ein erfahrener Asyl-Entscheider, eine junge Ärztin, ihr Freund, ein Filmstudent, und ein afrikanischer Stipendiat sehen sich nun vor der Frage, wie man mit Hassan am besten umgeht. Als Handlung des Stückes erörtern die Darsteller jeweilige private und berufliche Blickwinkel der Situation.

Probe der Erweiterung und Überarbeitung "Zeig mir deine Wunde 2" (Haruna Munira als Journalist/ Dokumentarfilmer Lawrence)

Abgehoben vom Erzählstrang zeigten sich zunehmend die eigentlichen Aussagen des Stückes. „Wunden“ haben wir alle. Aber nur, wenn wir uns öffnen, anstatt zu verdrängen, können wir Traumata überwinden. Und, im Schatten unseres „Funktionierens“ ist unser Leben miteinander kälter und härter geworden. Mitgefühl ist oft verloren. Das Stück endet dennoch versöhnlich. Der Entscheider teilt seine „Brotzeit“ mit dem geflüchteten Hassan. Ein symbolischer Akt: Wieder ganz und gar Mensch werden!

Entscheider Herr Adam (F.Pauli) möchte wissen, was gerecht ist
Hassan (H.Adschuli) liest den Beipackzettel von Olanzapin
ist sich nicht sicher, ob sie den richtigen Beruf gewählt hat, um Menschen zu helfen: Betty (V.Schweinstetter)

Dem Ensemble des Jungen Landestheater Bayern, geleitet von Matthias Fischer und Vera Schweinstetter, gelang mit „Zeig mir deine Wunde“ eine außergewöhnliche Inszenierung, die unsere Schüler ansprach und auch aufwühlte. Das Junge Landestheater Bayern arbeitete mit modernsten theatralischen Mitteln: Videosequenzen, live mit Handkamera und Smartphone gefilmt und auf mehrere Leinwände projiziert, Ausschnitte aus dem Film „Drachenläufer“, mit dem Hassans Kindheit in Kabul anschaulich wurde. Viel Aufmerksamkeit, große Stille am Ende der Aufführung.
Unter unseren Zuschauern befanden sich nicht wenige mit eigenem Migrationshintergrund, auch geflüchtete Jugendliche. Sie erkannten sich, einige suchten das Gespräch mit den Darstellern. Und gelacht wurde auch, ein Schüler entdeckte seine frappierende Ähnlichkeit mit Lawrence, dem afrikanischen Dokumentarfilmer.
Wichtig dann die Nachbesprechung wieder in der Schule: Eine Inszenierung abweichend von gefestigten Erwartungen der Schüler mit noch ungewohnten dramaturgischen Mitteln. Insgesamt danach Betroffenheit und viele positive Rückmeldungen der Schüler.