Was zunächst noch wie ein fröhliche, wenn auch nicht geplante, Geburtstagsfeier im Lehrerzimmer aussieht,
entwickelt sich schon bald zu einer durchaus brutalen Geschichte.
Allmählich ahnt die Lehrerin (li.U.Grzela), dass ihre Schüler (v.l. U.Thomsen, Ch.Erdt, F. Stark) nicht gekommen sind, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren.
„Notendruck“: Wenn aus Angst Brutalität wird
Beeindruckende Vorstellung des Jungen Landestheaters Bayern
Furth im Wald. Alle Jahre wieder...Bammel vor den Noten. Auch in diesen Tagen wird’s dem einen oder anderen Schüler mulmig im Bauch. Das Junge Landestheater Bayern, bei dem auch der aus Furth stammende Christian Erdt, einer der vielversprechendsten Nachwuchsschauspieler, mitwirkt, hat das Thema „Notendruck“ aufgegriffen. (...) Um an die Prüfungsunterlagen zu kommen, wenden die Jugendlichen verschiedene psychische Tricks und Gemeinheiten an. Es geht um gute Noten und um Existenzangst. In dem Stück kommt eigentlich alles zur Sprache. Viele Dialoge zwischen der Lehrerin und den Schülern verdeutlichen, wie schnell sich Aggressionen und Gewalt aufbauen und zur Brutalität werden können. Die Situation entwickelt sich wechselhaft und dramatisch – letztlich eskaliert sie. Wer am Ende siegt, soll nicht verraten werden.
Mittelbayerische Zeitung
Ein spannender Scherbenhaufen
Das Stück Notendruck feiert eine gelungene Premiere und regt zum Nachdenken an
Das passt: Während das alte Stadttheater bei der Premiere von "Notendruck" seine Wiederauferstehung erlebt, kämpfen in der Realschule Waldkraiburg ein paar Türen weiter die Schüler der realen Abschlussklasse im Förderunterricht mit dem Mathe-Prüfungsstoff.
Der fast perfekte Zufall ist Teil des Projekts. Mit "Notendruck" will das Junge Landestheater Bayern so nahe wie möglich heran an die Wirklichkeit, an das echte Leben in den Schulen. Eltern Lehrer und Jugendliche – so heißt es im Untertitel – sollen nämlich "Nachdenken über die Schule", sich Gedanken machen über das, was täglich um sie herum geschieht. Was Moral, Respekt und Ethik heute noch bedeuten in einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder vor allem nach Leistung beurteilt. Die haben die beiden Kollegiaten Oli und Paul nicht gebracht. Ausgerechnet die Abschlussklausur in Mathe haben die beiden versemmelt, jeder auf seine eigene Weise. Gemeinsam mit Pauls Freundin Lena und Klassenkamerad Michael schmieden sie einen perfiden Plan. Erst wollen sie die Mathe-Lehrerin, Frau Goritzka, mit einem Geburtstagsständchen und Champagner betören, um ihr dann den Schlüssel für den Safe zu entlocken, in dem die verpatzten Schulaufgaben liegen. Gezwungen ungezwungen geht es also anfangs zu, die Lehrerin freut sich über die unerwarteten Aufmerksamkeiten ihrer Schüler, durchschaut aber schon bald das niederträchtige Spiel – und spielt nicht mehr mit. Die Situation eskaliert, ein Handy geht zu Bruch. Und aus der geschlossenen Gruppe werden Einzelkämpfer: Allen voran Micha, der Macher, der Hardliner, für den alles nur ein Experiment scheint, überzeugend gespielt von Uwe Thomsen. Dazu Paul, der Philosoph, schlau und wortgewandt von Christian Erdt dargestellt. Und schließlich Oli, der Außenseiter, der Angsthase, in Panik vor seinem zornigen Vater, dem Alkohol verfallen und ohne Perspektive. Ein gelungenes Heimspiel für den Mühldorfer Fabian Stark. Jeder versucht auf seine Weise den Schlüssel zu bekommen: Micha brüllt, Paul diskutiert, Oli bettelt. Und Lena? Wechselt die Seiten, wehrt sich – wehement gespielt von Rosa Frey – gegen die immer abartigeren Pläne der Jungs. Die Beziehung zu Paul geht in die Brüche, hält wie so vieles dem Druck nicht Stand. Am Ende sitzt Frau Goritzka alleine auf der halbdunklen Bühne, beeindruckend gibt Ula Grzela die völlig verzweifelte und desillusionierte Lehrerin. Wie konnte es so weit kommen? "Eure Wünsche sind so primitiv – möglichst viel fressen und ein möglichst warmes Fell. Moralische Krüppel seid ihr und verkraftet den Wohlstand nicht. Unerträgliche Egoisten. Demut hat euch keiner beigebracht." Nach 90 Minuten bleibt vor allem eines zurück: ein großer Scherbenhaufen. Zerbrochene Träume, zerbrochene Freundschaften, zerbrochene Zukunft. Das kaputte Handy ist da noch der geringste Schaden.
Alles zu spät: Als Paul und Michael den Schreibtisch mit den
Zeugnisbemerkungen plündern, ist die Situation längst eskaliert.
Licht, Musik, Video: geschickt sorgen Matthias Fischer und Dramaturgin Vera Schweinstetter für Abwechslung auf der Bühne und halten die Spannung über die gesamte Spielzeit aufrecht. Den Orchestergraben nutzen sie als zweiten Raum, die Szenen werden auf eine Wand im Hintergrund übertragen. Doch bei aller technischen Raffinesse: Im Mittelpunkt stehen die Dialoge, die Diskussionen zwischen Lehrerin und Schülern. Für das Publikum bleibt genügend Raum, sich Gedanken zu machen, was sich dort oben abspielt. Nachdenken ist angesagt.
Mühldorfer Anzeiger