Junges Landestheater Bayern

Theater im ehemaligen Zollamt der Stadt Furth im Wald

Vor Ort entwickelte Uraufführung (ab 13 Jahren)

mit Zitaten aus „Draußen vor der Tür“ (Borchert), „Des Teufels General“ (Zuckmayer), „Die Brücke“ (Wicky/Gregor), dem kollektiven Tagebuch „Echolot“ (Kempowski) und weitern Zeitzeugenberichten.
Der Theaterstoff bildet mit dem geschichtsträchtigen Grenzbahnhof Furth im Wald eine Einheit und umgekehrt.

Bahnhof Furth im Wald 1945/46

Chamer Zeitung vom 28.04.2005: 

Weltgeschichte einmal von unten her betrachtet 
Lebendiger Geschichtsunterricht: Vom Verlust der Kindheit - Faszinierendes Jugendtheaterprojekt im „Theater Zollamt“ 

»Es ist ein faszinierendes Projekt, mit dem Matthias Fischer vom Jungen Landestheater Bayern Jugendliche für die Geschichte ihres Umfeldes zu interessieren in der Lage ist. „Geschichten aus Europa - Landkreis Cham“ nennt es sich im Überbegriff und es schafft mit künstlerischer Integration junger Amateure das, was derzeit nahezu sämtliche Medien zumeist vergeblich versuchen, nämlich die Generation der heute 16- oder 18-Jährigen mit der damaligen Situation ihrer Großmütter und -väter auf verständliche Weise vertraut zu machen. 

Ort der Proben- und Projektarbeit ist das deutsch-tschechische Grenzgebiet und das ehemalige Zollamt in Furth.
Ein glücklicher Zufall bei der Suche nach einer „Bühne“ führte die Jugend-Theatermacher exakt in jenes Haus, dessen Rolle in den schweren Zeiten der Vertreibung nach 1945 so bedeutend war - für Zehntausende von Flüchtlingen und Heimatlosen.
Das Stück erzählt die Geschichte der Region - unsere Geschichte.
Die Figuren im Stück tragen die Last ihrer Vergangenheit und hoffen auf eine bessere Zukunft.
Selbst in winzigen Kleinigkeiten ist das Handlungsgefüge stimmig, Requisiten, Kostüme, Technik, Bühnenbild, Licht, Musik - einfach alles passt und überrascht mit originellen Einfällen.«

Das ist unsere Tür
Einberufung 1
Einberufung2
Einberufung 3
Einberufung 4
Zwei steinalte nasskalte Fische

»Verblüffend die offene Spielgeometrie - der lange Flur des aufgelassenen Bahnhof-Zollamtes und die ehemaligen Büros werden flugs als Bühnen- und Zuschauerräume gleichermaßen genutzt. Ein Konzept, das wohl auch deshalb so gut aufgeht, weil sich das Publikum mitten im Geschehen fühlt und ein enger Kontakt entsteht zwischen Akteuren und Zusehern. Das Zeitkolorit wird so in beklemmender Weise deutlich. Neben all diesen famosen Zutaten waren es sicher auch die unterschwellig geführte Live-Musik und die geschickte Lichtführung, die für dichte Atmosphäre und Spannung sorgten.
Der besondere Aspekt des Unternehmens „Theater Zollamt“ kam dann nach der Premiere aufs Sympathischste heraus: In der ehemaligen Schalterhalle des Zollamtes hatte man ein „Café Europa“ eingerichtet, das gastfreundlich zu Gesprächen und Reflektionen über das Stück und seinen völkerübergreifenden Inhalt einlud (das deutsch-tschechischen „Stepanka Balcarova Quintett“ bietet hierbei kultigen Jazz). 

Fazit: ein tolles Projekt, zeitgemäß, pädagogisch wirksam für alle Altersgruppen und - hoffentlich auch - mit ausstrahlender Wirkung!«

Chamer Zeitung 04/20


Es darf nie wieder so entsetzlich still in der Welt sein

Schüler der 10. und 11. Klassen besuchten die Inszenierung im „Theater Zollamt“ zum Lebensweg junger Leute zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und ihrer Situation bei Kriegsende.
Nachdem die Schüler erst Zeugen eines Kriegsspiels unter Freunden wurden und sahen, wie sich ein Unterlegener nach dem Erhalt des Einberufungsbefehls zum Brutalen wandelte, aus dem Siegertypen der Verängstigte und aus dem Muttersöhnchen der Ausbrecher wurde, wechselten sie ihre Betrachtungsweise.

Kriegsspiele
Mutter und Sohn

Sie gingen mit dem liegen gebliebenen Kriegsheimkehrer Beckmann aus Borcherts „Draußen vor der Tür“ mit, der „erst wild aufs Sterben“, „das Leben plötzlich wieder ganz herrlich und süß“ fand, als „ein Zweibeiner mit Rock, mit einem Busen und langen Locken“ vorbeikam. Der Zuschauer durchwanderte den Gang, änderte seine Perspektive, schaute ganz nebenbei über die Schulter in das große Fenster einer Leichenhalle, wo ein toter Soldat beweint wurde. Eine Jüdin spitzte verängstigt um die Ecke, aber „in Cham hat man den Juden geholfen und ihnen gar ihr Haus abgekauft“. Besonderen Reiz strahlten die räumlichen Verhältnisse der „Bühne“ aus, verschaffte doch eben der kahle, lange Gang die notwendige Tiefe, in der die jungen Leute geradezu „verschlungen“ wurden, wenn sie sich ihrer Zukunft im Krieg oder ihrer Hoffnung auf Menschlichkeit hingaben. Die Nebenräume des Ganges ermöglichten Orte des Geschehens, die nur, vergleichbar einem Voyeur, über dort aufgestellte Kameras zugänglich gemacht wurden. Die Handlung selbst konnte der Betrachter auf Leinwänden im Gang mitverfolgen, aber nicht nur diese, sondern auch die Bilder von der zerstörten Stadt, die den Heimkehrer erwartet, wo er nach dem bronzenen Wohnungsschild seiner Eltern sucht, die sich dem Elend am Ende des Kriege durch Selbstmord entzogen. Und auch innere Bilder der Figuren überlagerten sich hier, wie die sich nach Wärme sehnende Sima, mit dem Bild ihres verschollenen Mannes Wladimir, während sie dem „kalten, stummen Fisch“, dem verzweifelten, invaliden deutschen Soldaten eine Jacke ihres Mannes anzieht.
Die Inszenierung war stimmig bis ins Detail. Da fehlten nicht der Geruch von Weihrauch im Leichenhaus, nicht die Mamutschka im Schrank der Russin Sima und nicht die harten, russischen Worte des Kriegsheimkehrers Wladimir, als er zu Hause den Fremden antraf.
Da fehlte aber vor allem auch nicht der Appell. Es darf nie wieder „so entsetzlich still in der Welt sein“.
„Lass uns gemeinsam lebendig sein“ – nie wieder einem toten Soldaten das Versprechen abgeben müssen, den Mord an ihm nie zu vergessen. „Nehmt die Helme ab! Vor Angst braucht keiner mehr zu singen. Wir wollen nichts mehr tun als gut sein und den Müttern versprechen, dass ihre Söhne nicht umsonst gestorben sind.“« 

Irene Haberl, Fraunhofer-Gymnasium 06/2005